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Navid Linnemann
Redakteur[emailprotected]
Die selbstfahrende Radhaubitze 2S22 Bohdana im Kaliber 155 mm ist eine ukrainische Entwicklung, die in den letzten Monaten immer mehr von sich reden machte. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wird sie erfolgreich gegen den russischen Angriff eingesetzt und zum anderen steigen ihre Produktionszahlen rasch an. Zuletzt sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj von bis zu 10 produzierten Systemen pro Monat. Grund genug für cpm Defence Network, sich dieses ukrainische Waffensystem genauer anzusehen.
Schussabgabe der 2S22 Bohdana ACS. Foto: 1. Spezialbrigade
Foto: 1. Spezialbrigade
Wie auch beim Kampfpanzer hielt man mancherorts die Artillerie in Konflikten unseres Jahrtausends für obsolet. Wie auch beim Kampfpanzer täuschte man sich. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, welchen überragenden Stellenwert diese von Napoleon und Stalin als „Gott des Krieges“ bezeichnete Truppengattung mit ihren Haubitzen, Kanonen und Mehrfachraketenwerfern immer noch hat.
Neben Drohnen spielen Artilleriesysteme auf beiden Seiten eine wichtige Rolle, nicht zuletzt aufgrund ihres massiven Einsatzes. Nachdem Russland – wie in Mariupol –ganze Städte durch Artilleriebeschuss „dem Erdboden gleich gemacht“ hatte, fanden Artillerie-Fähigkeiten beider Länder mediale Aufmerksamkeit. Thema waren westliche Lieferungen ganzer Systeme oder die Versorgung mit Artilleriemunition.
Herstellungsgeschichte des ukrainischen „Gott des Krieges“
In den vergangenen drei Jahren erhielt die Ukraine – zusätzlich zu ihren bestehenden Systemen aus sowjetischen Beständen – westliche Haubitzen wie die Radhaubitzen Archer, DANA, Suzana und Caesar sowie die Panzerhaubitzen auf Kette AHS Krab, AS90, M109 und Panzerhaubitze 2000.
Der Prototyp der Radhaubitze 2S22 Bohdana bei der Probe für die Militärparade zum Unabhängigkeitstag in Kiew, 2018.
Foto: wikimedia / VoidWanderer
Doch auch im Land gibt es eine Neuentwicklung, die zuletzt Schlagzeilen machte – aufgrund ihrer hohen Produktionsrate von mittlerweile zehn Exemplaren pro Monat. Die Rede ist von der 2S22 Bohdana. Entwickelt und gebaut wird die 2S22 Bohdana seit 2015 vollständig in der Ukraine. Beteiligt sind unter anderem die Kramatorsk-Werke für schwere Werkzeugmaschinen und die Charkiwer Traktorenwerke.
Ein Grund für die Entwicklung einer eigenen Haubitze dürfte die Anpassung an das NATO-übliche Kaliber 155 mm sein, da bei sowjetischen Haubitzen wie der 2S3 Akazija das Kaliber 152 mm üblich war. Ein erster Prototyp der 2S22 Bohdana wurde 2018 in Kiew vorgestellt. Seit Anfang 2023 befindet sich die Selbstfahrlafette in ukrainischer Serienproduktion.
Aufbau und Funktionsweise
Die auf einem Lkw-Fahrgestell montierte 2S22 Bohdana Haubitze verfügt über ein 155-mm/L52-Rohr. Das Geschütz kann in einem Höhenwinkel zwischen +5° und +65° bewegt werden. Die Mindestbekämpfungsreichweite beträgt dadurch 780m und ein Flachschießen auf Ziele im Nahbereich ist somit nicht möglich.
Die doppelt gepanzerte, viertürige Kabine ist mit zwei Sitzreihen ausgestattet, sodass eine Besatzung von 5 Personen Platz findet. Zusätzliche Ausrüstung wie Überwachungs- und Nachtsichtgeräte, Geräte zur Aufklärung von Strahlung und chemische Kampfstoffen, eine Funkstation, persönliche Schutzausrüstung, transportable Munition, kann mitgeführt werden.
Tests der ukrainischen Selbstfahrlafette 2S22 Bohdana.
Foto: wikimedia / Sergej Woronkow
Anders als bei vergleichbaren Radhaubitzen verfügt das Geschütz allerdings über einen geringeren Automatisierungsgrad. Vorhanden sind ein computergesteuertes Feuerleitsystem auf Basis von Siemens SIPLUS- und SIMATIC HM-Steuerungen, eine Stabilisierung des Hauptgeschützes und ein automatisches Geschützlegesystem sowie ein Navigationssystem.
Zur manuellen Schussabgabe müssen die Soldaten die geschützte Kabine verlassen, was Besatzungsgröße von fünf Soldaten erklärt. Nach Herstellerangaben dauert es anderthalb Minuten, bis die 2S22 Bohdana in Stellung gegangen ist. Darin enthalten ist auch die Stabilisierung durch eine ausfahrbare Heckklappe. In Stellung verfügt die Haubitze über eine maximale Feuerrate von sechs Projektilen pro Minute.
Technische Details der 2S22 Bodhana
- Fahrgestell:KrAZ-63221
- Gewicht: 28 t
- Bedienung: 5 Personen
- Reisegeschwindigkeit: 80 km/h (Straße), 30 km/h (Gelände)
- Reichweite: 800 km (Straße), 300 km (Gelände)
- Geschütz:
- Kaliber: 155 mm
- Kaliberlänge: 52
- Elevationswinkel: +5 bis +65°
- Feuerrate: 4-6 Schuss pro Minute
- Kapazität: 20 Schuss
- Schuss-Reichweite:
- Base-Bleed-Geschosse: 40-42 km
- Reichweitenerweitert: 50 km
Die 2S22 Bodhana auf ukrainischem Lkw von KrAZ
Als Fahrgestell der 2S22 Bohdana kommt derzeit das ukrainische 6×6 Lkw-Fahrgestell KrAZ-6322 zum Einsatz. Möglich sind aber auch andere fahrbare Untersätze, wie das in der Ukraine noch vorhandene russische MAZ-6317-Chassis in Kombination mit einer geschützten Kabine NVO-Praktyka. Auch gibt es bereits Versionen der Bodhana auf einem tschechischen Tatra T815-7 8×8.
Ukrainische selbstfahrende Haubitze Bohdana auf MAZ-6317-Chassis mit NVO-Praktyka-Kabine.
Foto: wikimedia / armyinform.com.ua.
In der Standardvariante auf KrAZ-63221 mit 380-420 PS-Dieselmotor kommt die 2S22 Bohdana auf eine Geschwindigkeit von 80 km/ auf der Straße und 30 km/h im Gelände. Möglich sind so Reichweiten von 800 km (Straße) bzw. 300 km (Gelände).
Mögliche Munition für das Bodhana-Artilleriesystem
Die Bohdana Artillerie kann verschiedene Artenvon Munitionverschießen, darunter insbesondere auch westliche Arten wie die in den USA hergestellte Präzisionsmunition Excalibur. Die Reichweite soll – je nach Munition – bei bis zu 50 km liegen. In der Regel wird sich jedoch Artilleriegranaten mit einer Reichweite von 40 km bedient, die auch in der Ukraine hergestellt werden.
An Bord können 20 Geschosse und dazugehörige Treibladungen transportiert werden, was das Mitführen eines Begleitfahrzeuges notwendig macht.
Die 2S22 Bodhana im Vergleich mit anderen Artilleriesystemen
Im Vergleich mit anderen Radhaubitzen fällt auf, dass die 2S22 Bohdana über einen geringeren Grad der Automatisierung verfügt. So müssen Soldaten beim Artilleriesystem Archer aus Schweden ihre geschützte Kabine zur Schussabgabe nicht verlassen und können wesentlich schneller nach erfolgreicher Schussabgabe die Stellung wechseln.
Artillerie 2S22 Bohdana ACS der ukrainischen Streitkräfte. Hier auf einem 8x8 Tatra T815-7-Fahrgestell.
Foto: Joint Force Command/Ukraine Ministry of Defense
Auch bei der Feuerrate und Kapazität bleibt das ukrainische System hinter anderen europäischen Selbstfahrlafetten zurück. Die RCH 155 auf dem Boxer kann beispielsweise zwei Schuss mehr pro Minute abgeben und zehn weitere Geschosse mitführen. Auch ist sie schneller im Gelände und auf der Straße unterwegs, dafür ist sie schwerer.
Nach Angaben der Kyiv Post beträgt der Stückpreis einer 2S22 Bodhana nur rund 2,5 Millionen Dollar. Im Vergleich zu den geschätzten 13 bis 20 Millionen Euro für eine RCH 155 oder den vier bis fünf Millionen Euro für Archer und Caesar Artilleriesysteme handelt es sich beim ukrainischen Modell also um ein Schnäppchen.
Die Bedeutung der 2S22 für die Ukraine
Die vergleichsweise zügige Entwicklung der 2S22 Bohdana, gefolgt von der schnellen Produktionssteigerung ist ein gutes Beispiel für das Bestreben der Ukraine, ihre militärische Unabhängigkeit zu stärken, um sich weniger auf ausländische Waffenlieferungen verlassen zu müssen. Auch wenn die 2S22 Bohdana nicht auf dem Niveau deutscher oder schwedischer Systeme ist, zählen für die Ukraine vor allem schnelle Verfügbarkeit und große Stückzahlen.
Die Integration eines 155-mm-Geschützes nach NATO-Standards beweist zudem den Willen der Ukrainer, sich der NATO immer weiter anzupassen. Interoperabilität mit westlichen Streitkräften ist eine wichtige Säule des Bündnisses.
Unterm Strich: 2S22 Bohdana Artillerie
Die 2S22 Bohdana ist ein beeindruckendes Beispiel für die Fähigkeit der Ukraine, moderne und effektive Waffensysteme unter dem großen Druck des Krieges im eigenen Land zu entwickeln. Mit ihrer Kombination aus hoher Reichweite und Mobilität stellt sie eine wertvolle Ergänzung für die ukrainischen Streitkräfte dar und symbolisiert den Fortschritt des Landes im Bereich der Militärtechnologie.
Unterm Strich dürfte jedoch die inländische Massenproduktion der 2S22 Bodhana den wichtigsten Vorteil für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland bedeuten.
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155ArtillerieArtilleriesystemHaubitzeRadhaubitzeUkraine