Mitten im Krieg baut die Ukraine auch eigene Waffen (2024)

Die ukrainische Rüstungsproduktion hat nicht den Umfang der russischen Waffenfabriken, aber es gibt sie. Für Oberbefehlshaber Saluschnyj besonders wichtig ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Der lange Abwehrkrieg gegen Russland ist aus vielen Gründen schwierig für die Ukraine - gerade in einer Zeit, in der die westliche Unterstützung nicht mehr so sicher wie zuvor zu sein scheint. Während russische Raketen und Drohnen jederzeit überall in der Ukraine einschlagen können, ist das russische Staatsgebiet kaum vom Krieg betroffen. Der Kreml lässt seine Fabriken hinter dem Ural längst im Dreischichtbetrieb laufen.

Auch wenn klar ist, dass die Ukraine nicht in der Lage ist, sich ohne Hilfe von außen vollständig mit Waffen und Munition zu versorgen, so gibt es doch auch im angegriffenen Land Produktionsstätten. In schwieriger wirtschaftlicher Lage gelingen der Ukraine Achtungserfolge, vor allem in den Bereichen der vergleichsweise preisgünstigen Artillerie, bei der Flugabwehr, aber auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz.

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Die wichtigste Erfolgsgeschichte ist die der selbst entwickelten Radhaubitze Bohdana, die im Sommer 2022 zusammen mit der französischen Haubitze Caesar bei der Befreiung der Schlangeninsel im Schwarzen Meer eine wichtige Rolle gespielt hat. Damals hatte die Ukraine nur eine einzige Bohdana zur Verfügung, einen Prototyp. Dass dieses Exemplar überlebt hatte, war schon ein kleines Wunder. Denn ursprünglich wurde die Radhaubitze von einer Fabrik in Kramatorsk im Bezirk Donezk entwickelt, wo sie bis kurz vor dem russischen Überfall aufbewahrt wurde. Als die große Invasion sich immer stärker abzeichnete, befahl der Generalstab in Kiew zunächst die Zerstörung der Bohdana, da die Technologie nicht in die Hände der Russen gelangen sollte. Die Haubitze wurde jedoch zerlegt, ins Hinterland gebracht, wieder zusammengebaut und bei der ukrainischen Armee in Dienst gestellt.

Mittlerweile produziert die Ukraine sechs Bohdanas pro Monat

Nachdem sich Bohdana bei den Kämpfen um die Schlangeninsel bewährt hatte, gab das Verteidigungsministerium in Kiew die Serienproduktion in Auftrag. Heute werden sechs Radhaubitzen pro Monat hergestellt, ein ähnliches Tempo wie bei der Caesar in Frankreich. Aktuell gibt es bereits mehr als 30 Bohdanas. Zwar sind viele Details der Herstellung aus Sicherheitsgründen geheim, doch ist bekannt, dass die Produktion dezentral organisiert ist, um den Einfluss der russischen Luftangriffe zu minimieren. Einige Teile der Bohdana werden im Ausland produziert, vieles aber auch zu Hause in der Ukraine. Insgesamt sind 25 Unternehmen und rund 400 Menschen an der Herstellung des "Mini-Caesar" beteiligt, wie Bohdana mitunter genannt wird.

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Der Vergleich liegt auf der Hand. Offensichtlich kann Bohdana, die vor dem 24. Februar 2022 eigentlich noch gar nicht fertig war und im Laufe des Krieges optimiert und modernisiert wird, mit Caesar nicht ganz mithalten. Doch während der Preis einer Caesar-Haubitze bei rund fünf Millionen US-Dollar liegt, kostet eine Bohdana nur die Hälfte. Außerdem muss die Ukraine dafür international nicht Schlange stehen. Die Radhaubitze muss für größere Reparaturen auch nicht nach Polen gebracht werden, und die ukrainischen Artilleristen brauchen für ihre Bedienung keine Neuausbildung: Bohdana schießt zwar mit NATO-Kaliber 155 mm, kann aber sofort von auf sowjetischem Gerät ausgebildeten Soldaten benutzt werden. Und weil Bohdana sich auf dem Schlachtfeld definitiv als gut genug zeigte, ist durchaus möglich, dass sie bald zum Hauptartilleriegerät der ukrainischen Armee wird - und in der Nachkriegszeit möglicherweise zu einem wichtigen Exportprodukt. Länder wie Ägypten, Marokko und Saudi-Arabien hatten schon vor dem Krieg Interesse an der Waffe gezeigt.

Der Mangel an Munition bleibt ein Problem

Allerdings kann Bohdana ohne Munition nicht schießen. Munition von sowjetischem Kaliber wird in der Ukraine und in den umliegenden EU-Ländern produziert - aber das hilft für diese Haubitze nicht. Der Westen scheitert bislang daran, genug Munition zu liefern. So kann die EU ihr Versprechen nicht halten, bis März 2024 eine Million Schuss Artilleriemunition zu liefern. Knappheiten gibt es auf beiden Seiten der Frontlinie. Umso wichtiger ist deswegen die Nutzung von sogenannten First-Person-View-Drohnen, die zunächst von der Ukraine eingesetzt wurden, mittlerweile auch von den Russen.

FPV-Drohnen, die ursprünglich von Hobby-Nutzern verwendet wurden und nur wenige Kilometer fliegen können, gelten als eine Art minimalistischer Artillerie-Ersatz. Nach Schätzungen der ukrainischen Online-Zeitung "Ukrajniska Prawda" ist die Ukraine schon heute in der Lage, rund 500.000 solcher Drohnen pro Jahr zu produzieren. Das von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf seiner jüngsten Pressekonferenz angesprochene Ziel von einer Million FPV-Drohnen im Jahr 2024 dürfte realistisch sein. Allerdings arbeitet Russland in diesem Bereich ebenfalls auf Hochtouren, daher handelt es sich auch hier um ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

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Neben der Eigenproduktion setzt die Ukraine stark auf Gemeinschaftsproduktionen sowie auf kreative und unerwartete Lösungen. Das wurde Anfang Dezember auch beim Forum der Verteidigungsindustrien der Ukraine und der USA jenseits des Atlantiks deutlich. Erfolge gibt es vor allem in Sachen Flugabwehr, konkret bei der Anpassung von westlichen Raketen auf sowjetische Systeme, für die die Ukraine keine Raketen mehr bekommt. So wurde die ukrainische Idee, Raketen vom Typ Sea Sparrow für das sowjetische System BUK-M1 zu nutzen, bereits umgesetzt - eigentlich ist die Sea Sparrow ein schiffsgestütztes Flugabwehrsystem. Auch für die weitverbreiteten Systeme S-300 soll es ähnliche Vorhaben geben.

Saluschnyj setzt auf KI

Ein anderes, für Armee-Befehlshaber Walerij Saluschnyj besonders wichtiges Thema ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. In seinem im Herbst im "Economist" veröffentlichten Artikel bekräftigte er die Notwendigkeit eines technologischen Sprungs, um die gefährliche Sackgasse eines überlangen Krieges gegen Russland zu verhindern. Dem britischen Magazin zufolge tauscht sich Saluschnyj zu diesen Themen mit vielen Leuten aus, unter anderem mit Eric Schmidt, Ex-CEO von Google. Noch befindet sich der Einsatz der KI-Systeme durch die ukrainische Armee in der Anfangsphase. Doch an der Front gibt es bereits Waffen, die mithilfe maschineller Lernsysteme operieren.

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Bis dahin scheint das System "Griselda" die wichtigste Entwicklung zu sein, die KI nutzt, um Informationen zu sammeln, schnell zu verarbeiten und den Truppen vor Ort ein klares Lagebild zu geben. Griselda ist dazu fähig, Tausende von Nachrichten von Drohnen, Satelliten, Medien und sozialen Netzwerken zusammenzutragen und zu bearbeiten. Aktuell entdeckt das System mehr als 25.000 Ziele pro Monat und kann der Armee Informationen über den Feind innerhalb von weniger als 30 Sekunden liefern. Die Informationen erreichen ukrainische Kanoniere und Panzerbesatzungen über eine speziell entwickelte App.

Die mit einem maschinellen Lernsystem ausgestattete Drohnenformation "Saker Scout" kann ihrerseits mehr als 60 Zielarten in Gebieten erkennen und angreifen, wo andere Drohnen infolge der elektronischen Kampfführung der Russen machtlos sind. Das System besteht aus einer Aufklärungsdrohne und mehreren FPV-Drohnen, die dann auf den Feind schießen. Spannend ist darüber hinaus auch die ferngesteuerte Drehringlafette TGG, die Ziele identifiziert und alle Berechnungen selbst macht. Dem Nutzer bleibt nur, die Lafette auf das Ziel zu richten und auf den Knopf zu drücken.

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Selbstverständlich ist allein damit der von Saluschnyj angesprochene "technologische Sprung" noch nicht erreicht. Als der Armee-Befehlshaber aber am Dienstag bei seiner eigenen Pressekonferenz vor den ukrainischen Medien auftrat, ließ er auf einige Überraschungen im nächsten Jahr hoffen. "2024 wird nicht nur anders sein. Es muss anders sein als 2023, worüber ich in dem Artikel auch geschrieben habe", so der in der Ukraine äußerst populäre General. "Wir haben Probleme identifiziert und etwa 90 Prozent der Lösungen für die gefunden, die unbedingt gelöst werden müssen, um im nächsten Jahr effektiver handeln zu können und vor allem Menschen zu retten."

Mitten im Krieg baut die Ukraine auch eigene Waffen (2024)

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